oder: Immer schön flexibel bleiben!
5.9. - 6.9.09, Rudi Roth in Hohenvolkfien
Von Tania Konnerth
Ganz ehrlich? Springen war noch nie wirklich meins. Zunächst vor allem aus Mangel an Möglichkeiten, dann aus Mangel an geeignetem Unterricht und irgendwann dann auch aus Mangel an Mut habe ich mich vor dem Springen meistens gedrückt. Gut, mal über ein Cavaletti zu hopsen oder einen Baumstamm im Gelände zu nehmen, das bekomme ich noch hin, aber schon ein "normaler", kleiner Sprung lässt mein Herz deutlich schneller schlagen.
Ich liebäugelte allerdings schon länger mit einem "Chiron-Springkurs", der bei mir ganz in der Nähe angeboten wird - genauer gesagt liebäugelte ich fünf Jahre lang damit, bis ich nun endlich Nägel mit Köpfen machte und mich anmeldete.
Meine Motive
Als ich von meinem Vorhaben erzählte, wurde ich von einigen gefragt: "Warum willst du das machen?" - und das war eine gute Frage. Ich dachte nach und fand einige Gründe:
Gute Vorbereitung ist alles
Um auf dem Kurs nun nicht ganz blöd dazustehen, bereitete ich mich ein bisschen vor. Zunächst nutzte ich todesmutig einige Sprünge, die im Sommer aufgestellt waren - allerdings nicht in den wahnwitzigen Höhen, die andere ganz lässig sprangen, sondern doch eher bescheiden:
Dann besorgte ich mir gebraucht das Buch "Rolf Bechers Springschule"(welches leider nicht mehr im Buchhandel lieferbar ist) und mir wurde klar, dass dieser Kurs für mich auch körperlich eine Herausforderung werden würde - denn dieser Chiron-Sitz, um den es gehen würde, unterscheidet sich doch arg von meinem normalen Sitz.
Also bat ich Babette um eine kleine Stunde. Huiuiui, das war schon ein guter Vorgeschmack auf das, was kommen würde. Und sie prophezeite mir: "Die machen die Bügel da sicher noch kürzer."
Zunächst die Theorie...
Ich fuhr also am Samstag mit gemischten Gefühlen zum Kurs. Meine größte Sorge war, dass ich die Oma in der Runde sein würde und nach einer halben Stunde stöhnend aufgeben müsste... Da war es schon einmal sehr beruhigend, dass ich sogar die Jüngste im Kurs war (um wenige Jahre, aber immerhin ;-)
Und der Anfang war auch noch einfach: eine kleine Theorie über die Entwicklung des Chiron-Reitens:
Ursprünglich wurde dieser Springsitz von Federico Caprilli (1868 bis 1907) entwickelt. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sprang man mit einem aufrechten, weit zurückgelehntem Sitz. Die Idee hinter diesem Sitz war, das Pferd vorne gleichsam anzuheben, damit es leichter über den Sprung kam. Allerdings führte dieser Sitz zu einer heftigen Belastung des Pferdes, da die Reiter ihren Pferden auf diese Weise jedes Mal in den Rücken fielen. Federico Caprilli entwickelte nun einen Sitz, der geradezu revolutionär anders war: der Reiter stand in extrem kurzen Bügel nach vorn gebeugt auf dem Pferd. Das ermöglichte ein Ausbalancieren und der Reiter konnte so mit den Bewegungen des Pferdes über den Sprung gehen, ohne es dabei zu stören.
Rolf Becher (1906 - 2002) war es, der diese Methode lehrgerecht aufarbeitete und verbreitete. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, von denen aber alle nur noch antiquarisch zu bekommen sind. Inzwischen ist der Chiron-Sitz fast ein bisschen in Vergessenheit geraten. Im Springsport sieht man den Chiron-Sitz kaum oder nur in abgeschwächter Form (dann meist im Vielseitigkeitsreiten).
Grundprinzip: Alles ist anders
Als es dann in die Praxis ging, war meine erste Erkenntnis: alles ist anders!
Und so war für mich das Motto für diesen Kurs festgelegt: immer schön flexibel sein, wobei es schon ein bisschen erschreckend ist, wie fest man doch in eigenen Mustern verhaftet sein kann. Einzig die Gewichtshilfen scheinen ähnlich zu sein - auf die reagierte mein tapferes Schulpferdchen Chinook nämlich so, wie ich es mir vorstellte.
Und so sah das Ganze dann bei mir aus - weit davon entfernt, perfekt zu sein, aber die Grundprinzipien sind erahnbar: kurze Bügel (die wohl allerdings noch kürzer könnten), langes Bein nach unten, Oberkörper nach vorne, Hände auf dem Mähnenkamm, Blick nach vorn:
Aller Anfang ist schwer...
Bei den ersten Runden und Übungen bestätigte sich schnell, was ich befürchtet hatte: dass die Sache schmerzhaft wird! Schon nach wenigen Minuten beschwerten sich meine Fußgelenke und Waden angesichts der ungewohnten Belastung. In den Sitz selbst fand ich mich relativ gut ein, aber ich hielt ihn nicht lange durch und musste immer wieder Pausen machen, um die schmerzenden Beine auszustrecken.
Wir wurden dann angeleitet, verschiedene Sitzübungen im Chiron-Sitz durchzuführen, wie das Fassen an die Fußspitzen:
Das Drehen nach hinten:
Oder das dynamische Boxen:
Dann ging es darum, in diesem Sitz auch locker voranzutraben:
Und zu galoppieren:
Erste Stangenübungen
Neben dem speziellen Sitz geht es beim Chiron-Springen auch darum, dass das Pferd lernt, selbstständig und aktiv mitzuarbeiten. Das heißt konkret, dass man als Reiter so wenig wie möglich einwirkt. Die Pferde sollen lernen, den Absprungzeitpunkt selbst geschickt zu wählen.
Um das zu erreichen, gibt es Vorübungen, wie z.B. das Reiten durch den Stangenstern (was schwieriger ist, als es aussieht):
Oder auch Hindernisse, bei denen Pferde genau hinschauen sollen, wie hier den schmalen Pfad durch die Tonnen:
Und dann springen wir auch
Und zum Springen kamen wir auch; naja, nennen wir es hüpfen (auch wenn es für mich durchaus Sprünge sind!):
Fazit
Dieser Kurs war für mich ein sehr interessanter Ausflug in eine mir bisher unbekannte Reit(Sitz)Welt und eine persönliche Herausforderung von Körper und Kopf.
Die Chiron-Methode hat mich in vielen Punkten überzeugt und ich würde sagen, dass es für Springinteressierte sehr lohnenswert ist, sich damit einmal genauer zu befassen. Gerade der Ansatz, dass die Pferde aktiv mitarbeiten und nicht einfach nur funktionieren sollen, entspricht meiner eigenen Einstellung zur Arbeit mit dem Pferd. Und ich glaube durchaus, dass einem dieser Sitz mit etwas Übung eine sichere Balance schenkt und die Fähigkeit, sehr flexibel auf die Bewegungen des Pferdes zu reagieren.
Den Sitz kann man natürlich nicht an einem Wochenende "lernen". Aber ich habe allein in den zwei Tagen schon einige Fortschritte gemacht, so dass ich mir gut vorstellen kann, dass man mit etwas Disziplin das recht schnell hinbekommt. Mir fiel z.B. in der vierten Einheit schon einiges deutlich leichter als noch zum Beginn. (Den Muskelkater den ich allerdings nach dem Kurs hatte, wünsche ich niemanden ;-)
Zum echten Spring-Fan konnte mich der Kurs zwar nicht machen (ich denke, ich überlass' das doch anderen), aber auf den nächsten kleinen Baumstamm im Gelände freue ich mich heimlich doch ein bisschen! :-)